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Bericht 28.03.2006
Für die Flügel der Natur - Gegen die Flügel der Industrie

Eine Familie begehrt auf. Im letzten Moment. Vielleicht schon aussichtslos. Verzweifelt. Ich schreibe als Privatperson für den eigentlichen Reichtum Mecklenburgs, für meine Familie, für das kleine idyllische Dorf zwischen Goldberg und Schwerin.

Mein Mann arbeitet heute noch mit Computervernetzung für einen Hamburger Verlag. Ich bin pensionierte Oberstudienrätin an Hörgeschädigten Schulen und habe immer in der Stadt gelebt.

Wir wohnen seit Juli 2004 in Groß Niendorf. Wir sind aus Hamburg hier her gezogen, um einen Lebenstraum zu verwirklichen: zu den Wurzeln, in die Heimat meines Mannes zurückzukehren. Das Gut seiner Eltern 'Laase’ liegt in der Nähe von Baumgarten. Der Vater blieb im Krieg. Die Mutter wurde mit ihren sechs Kindern von dort von den Russen vertrieben, die Sehnsucht konnte nicht 'vertrieben’ werden….

Wir sind zurückgekehrt und haben eine kleine Idylle in einer 100-jährigen Bauernkate gefunden und sie mit unserer Hände Arbeit für uns gestaltet.

Es gab Windräder in der Nähe, acht 86 m hohe Anlagen. Wir sind für alternative Energie. Nach allem, was wir wussten, stört dieses Maß die Natur in einem erträglichen Maße: das Ausmaß von Lärm, Beleuchtungseinfluss, energetischer Auswirkung auf Mensch und Tier ist verträglich. Sie störten uns nicht.

Das wurde uns 'live’ bestätigt: Bei unserem ersten Besuch, als wir das im Internet gefundenene Objekt besichtigen wollten, querten auf dem Weg von Zölkow, ganz nah an Groß Niendorf, drei Kraniche 10m vor unserem langsam fahrenden Auto majestätisch stolzierend die Straße.

Uns ging das Herz auf vor Glücksempfinden. Meine erste Reaktion: dieses Haus ist unseres, ohne es real gesehen zu haben. Wir waren auf unserem Weg dorthin den mythischen Vögeln des Glücks begegnet.

Das Haus gefiel uns sehr, wir sind hier. Wir haben es 'Kranichhof’ getauft, das Symbol ist ein von meinem Sohn Hand geschnitztes Holzschild mit 2 Kranichen unter dem Namen des Hofes im Vorgarten

Warum? Ab Ende Februar sind sie da, nah und erlebbar. Ich höre ihre Rufe täglich, im Frühjahr die des rückkehrenden Kranichflugs, die hier rasten und sich stärken zum Weiterflug, im Sommer bei offenem Fenster schlafend, wecken mich die Trompetenrufe von 3 hier lebenden Brutpaaren.

Und Ende September bis Anfang November kommen sie in Scharen von Tausenden hier in der Nähe an, zu den Langenhägener Seewiesen, die sich seit etwa 1996/97 zu einem international anerkannten Kranich-Rastplatz entwickelt haben, Luftlinie höchstens 10 km von uns entfernt. Dann sind sie ab dem frühen Morgen bis zur Dämmerung überall hier präsent.

Wir hören sie: sie sind da, komm schnell, rufen wir uns zu und stehen staunend. Wir beobachten sie auf den Feldern, sie überfliegen, einander laut trompetend Weg und Ziel zurufend, täglich unser Gehöft. Immer antworten wir ihnen mit Glücksgefühl und begleiten mit unseren Augen und mit positiv schützenden Gedanken im Herzen die Teilnahme an ihrem Leben, die sie uns schenken.

Ja und nun, ganz plötzlich, gerät unsere kleine Welt aus den Fugen:

Es gibt sie gar nicht, sie sind nicht da, sie halten etwa 9,8 km von den Langenhägener Seewiesen kurz vor Groß Niendorf an:

Da ist ihr Äsungsgebiet zu Ende laut Aussage einer industriellen Planung.

Wenn ich auf meinem Einkaufsweg von Crivitz in warmen Frühherbsttagen nach Hause fahre, biege ich immer links ab von der Hauptstraße auf den kleinen Weg nach Bülow ein. Dort treffe ich sie nahe dem kleinen Flüsschen Warnow, sie machen Mittagsruhe, putzen sich, schreiten zum Wasser.

Viele Paare haben einen Jungvogel zwischen sich. Mich trennen 50m von ihnen und ich schaue ihnen lange zu. An dieser Stelle dürften sie nun schon gar nicht mehr zu finden sein, das ist etwa 16 - 18 km von ihrem Rastplatz entfernt.

Die Kraniche sind in der Abwägung zu einem Flächennutzungsgebiet für 150m hohe Windenergieanlagen schlichtweg 'ab - gewogen’ worden: in Gutachten von bekannten Naturschützern, vom Bauamt des Parchimer Umlandes, vom STAUN, von einem Planungsbüro, vom Gemeinderat, alle im Fahrwasser einer nur dem Profit verpflichteten, allen drohenden Industrie, wenn es nicht nach ihren Vorstellungen läuft.

Das habe ich in einer Info-Veranstaltung dieser Industrie mit eigenen Ohren gehört. Es ist aber auch als gängige Praxis in vielen umgebenden Gemeinden bekannt geworden.

Dieser Industrie ist der eigentliche Reichtum Mecklenburg-Vorpommerns, seine noch einigermaßen intakte, zauberhafte, wunderschöne Flora und Fauna, die für den Menschen reicher machend als jedes Geld noch erlebbar ist, und der hier ansässige erdverbundene, naturbezogene Mensch und die vielen Zugezogenen, die diesen Reichtum erkannt haben, dies alles ist dieser Industrie sch…egal. Mit der Macht des Geldes im Hintergrund lassen sie abwägen, weg-wägen, weg-beschließen.

Worum geht es:

Es sollen noch mehr Windenergieanlagen in das kleine Windeignungsgebiet hinter unserem Dorf aufgestellt werden, ein Gebiet, das von kleinen Gehöften, Ausbausiedlungen Naturbiotopen, natürlichen Moortümpellandschaften in nächster Nähe umgeben ist und mitten in die Landwirtschaft eingreift, die für viele Menschen hier lebenserhaltend ist.

Es gibt Seeadler, ein Paar und ein ‚ER’, der den Horst zu bauen beginnt, es gibt den Rotmilan, es gibt einen Schwarzstorch und es gibt Hunderte von Fledermäusen, auch bei uns im Stall leben sie, das Gebiet ist Flugschneise der zurückkehrenden Wildgänse, es gibt etwa 3- 4 Monate im Jahr bis zu Tausenden von Kranichen, es gibt, es gibt, es gibt…

Nein, es gibt nicht! Es ist nicht entscheidend, es ist viel mehr 'verträglich’ für die gierigen Pläne der Industrie, dass es nicht gibt…

Noch gibt es und noch einmal sage ich: in so relativ unberührter Natur, dass es – noch – für den Menschen erlebbar ist. Wir erleben es täglich. Die Entwicklung dieses schönen Landes liegt in einem Tourismusmanagement, der es versteht, den Menschen diesen eigentlichen Reichtum nahe zu bringen, auch in einem gut begleiteten 'Kranichtourismus’, und nicht in zerstörenden Industrieanlagen.

Wenn die Pläne der Industrie, 150m hohe Windenergieanlagen zu bauen, trotz allen Protestes an alle Beteiligten, trotz Aufklärung durch Bürgerinitiativen und Rechtsanwälte, die die Gefahr erkennen und dagegen vor Angst anzuschreien versuchen, die Wahrheiten belegen und Auswege suchen und anbieten, wenn trotz alle dem gebaut wird, dann wird es mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit all das bald wirklich nicht mehr geben, was jetzt schon ohne Skrupel weg - beschlossen, ab - gestimmt wird.

150m hohe Anlagen kann der Kranich mit seinem schweren Körper auf dem Flug zur Nahrungssuche nicht mehr bewältigen. Er wird meiden, er muss meiden, riesige Areale von Äsungspolätzen gehen verloren, seine Existenz hier wird gefährdet sein, er muss wegbleiben, weil er sich hier für seine langen Reisen nicht mehr genügend stärken kann. Entweder er bleibt weg oder er überlebt geschwächt die Anforderungen des Kranichzuges nicht.

Seine Desorientierungen werden zunehmen. Karfreitag 2005:

Es ist Vollmond heute. Wir stehen im Garten, stundenlang beobachten wir den blauen Himmel über uns. Ein Kranichzug nach dem anderen quert den Himmel über unserem Haus auf seinem Weg gen Norden.

Immer wieder das gleiche Bild: geordnet, diszipliniert, sich ab und zu Orientierungsschreie zurufend, nähern sie sich unserem Haus. Plötzlich, gelenkt von unsichtbaren Vorgängen, entsteht ein verwirrtes Knäuel lauthals schreiend 'protestierender’ durcheinander fliegender Großvögel, die aus der Höhe sich ziemlich tief herabgleiten lassen und fast genau über unserem Haus versuchen, sich wie eine Spirale immer höher hinaufzuschrauben, wieder tiefer kommen:

Plötzlich hat es der Leitvogel in großer Höhe geschafft, als ob er den 'Geruch’ Norden wieder gefunden hätte: er tut den Erfolg mit einem schmetternden Trompetenruf kund. Der Zug folgt ihm. Das große 'V’ zieht ruhig und wenige Rufe von sich gebend nach Norden weiter.

Zug um Zug dasselbe Erlebnis! Es muss die Nähe der Windräder sein, die Nähe der schon bestehenden 8 'kleinen’ und die der 'großen’ in Hohenpritz.

Ja, sagt die Industrie, wir zahlen doch, wir zahlen für Ausgleichsflächen, die Futter anbieten. Eigenartigerweise zahlt die Industrie hier für Ausgleichsflächen, die auf Arealen hinter Groß-Niendorf liegen, die ihrer eigenen 'Abwägung’ nach gar nicht mehr Äsungsgebiet der Kraniche sind.

Eigenartig! Es sind abwechselnd einige Maisfelder, die nicht abgeerntet werden und die ein großes Äsungsgebiet ersetzen sollen. Es wirkt lächerlich: Ja, sie werden gut angenommen, diese Ausgleichsflächen, beruhigend spricht die Industrie auf die Zweifler ein.

Die kleinen Tiere wie Fledermäuse werden an den Rotoren zerschmettern. Die strahlen eine Wärme aus,die Kleininsekten magisch anzieht, die Fledermäuse auf Futtersuche sind die Opfer. Das wurde an Hand von Zählungen tot aufgefundener Fledermäuse um die Winenergieanlagen herum herausgefunden.

Die anderen Tiere der roten Liste wie Seeadler. Rotmilan und Schwarzstorch sind von den Rotoren stark gefährdet. Das belegen Untersuchungen.

Ich weine, während ich das schreibe. Ich weine vor Wut und Trauer, weil es nur darum geht: in 150 m Höhe ist mehr Windkraft, also mehr gewonnene Energie, also mehr Profit.

Ich weine, weil der Flächennutzungsplan nicht ausschließt, dass die derzeitigen 8 kleinen Anlagen 'optimiert’ werden, also auch bald 150 m oder mehr betragen werden. Ich weine, weil der Flächennutzungsplan das kleine Sondergebiet nicht ’abschließt’.

Das Planungsbüro hat es nicht 'Konzentrationsgebiet’ genannt, das wäre der juristische Begriff für ein abgeschlossenes Windeignunsgebiet.

Ich weine, weil die Menschen in Hohenpritz, einer Nachbargemeinde mit 123m hohen Anlagen, krank sind vom ständigen Störgeräusch der sich drehenden Rotoren, Leiden entwickelt haben durch die unsichtbar wirkenden Schallwellen, nervengeschädigt sind durch Tag und Nacht aktiv blinkende Leuchtfeuer und von den langen Schattenwürfen, denen man sich nicht entziehen kann. Den eigenen Garten zu genießen ist unmöglich geworden, und selbst ins Haus laufen Geräusche und Blinkfeuer hinterher.

Ich weine um einen verlorenen Lebenstraum inmitten einer wunderschönen, nun gefährdeten Natur.

Anne Vedova-Lobischer

 

 
 
 

Handle stets so,
daß kein anderer
gefährdet,
geschädigt,
oder mehr als
nach Umständen
unvermeidbar
behindert oder
belästigt wird.

Immanuel Kant
1724 - 1804

 
 
 
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02.04.2003 19:54