SVZ 18.10.2004
Was hat Lenin mit Windrädern zu tun?
Oder Die Praxis als Kriterium der Wahrheit
Das Bauministerium in Schwerin hat
Hinweise erarbeitet, womit künftig die Bedingungen für
die Errichtung von Windkraftanlagen in MV neu geregelt werden sollen.
Wer in der Nähe von Windkraftanlagen
wohnt weiß wie es ist, wenn ein ständiger Geräuschpegel
den Schlaf zur Glückssache werden lässt oder ein Betonmischer-artiger
Lärm das Kaffeetrinken im Garten unmöglich macht, er kennt
den nervigen Schattenschlag der Rotorflügel in den Glasscheiben,
kennt das durchdringende Rotlichtbeleuchtung des Nachts und im Nebel,
wo gar die Mädels von der Reeperbahn neidisch werden.
Glücklich also der Stadtmensch
in der Landeshauptstadt, weit weg und mit vagen Vorstellungen der
Dinge dort draußen.
Die in der Richtlinie vorgesehene
Erhöhung der Mindestabstände von Windkraft-anlagen zur
Wohnbebauung will nun Besserung verheißen.
Wenn auch nur für künftige Bebauungen, und nur Dank dem
jahrelangen Engagement betroffener Anwohner in Bürgerinitiativen
und einiger Verbündeter im Widerstreit mit den Geldinteressen
der Windkraftlobby und dem zähen Beharrungsvermögen von
Behörden und Politik.
Dass jetzt, mit juristischem Seitenblick
auf Industrie und Investoren, kein eindeutiges Gesetz sondern eine
Handlungsempfehlung entstanden ist, zeigt nebenbei und anschaulich,
wer hierzulande das Sagen hat.
Ihr seid das Volk, und wir geben Bescheid wo es langgeht. Praktischer
Unterricht in Gesellschaftskunde.
Mit den neuen Richtlinien sollen die
Gemeinden vor Ort mehr Eigenverantwortung in die Hand bekommen.
Konkret werden sie sich also mit den Investoren z.b. um die Auslegung
der Abstandsrichtlinien auseinandersetzen müssen.
Wieweit gilt ein Mindestabstand für 100 auch bei 150 oder gar
200 Meter hohen Windrädern?
Hierzu fehlen jegliche Kriterien, wird auf andere Zuständigkeiten
verwiesen. Damit sind Konflikte vorprogrammiert. Wie unlängst
z.b. in der Gemeinde Zölkow im Landkreis Parchim, wo dem Vernehmen
nach der Investor dem Gemeinderat die Pistole auf die Brust gesetzt
und entgegen ursprünglichen Abmachungen größere
und höhere Windräder durchgesetzt hat.
Woanders nennt man so was schlichtweg Erpressung, hier heißt
es Optimierung.
Zur Freude übrigens der Nachbargemeinden
um Friedrichsruhe, die nun auch in den Genuss der nächtlichen
Rotlicht-Warnbeleuchtung kommen werden.
Die Stadt Marlow bei Rostock wurde
kürzlich durch die Betreiber vor die Alternative gestellt,
umgehend ihr Einvernehmen für den Windpark Kloster Wulfshagen
zu geben und die Höhenvorgabe von 80 m auf 100 m abzuändern,
da sie sonst auf Schadensersatz für entgangenen Gewinn verklagt
würde. EinenTag später hat die Stadtvertretung entsprechende
Forderungen beschlossen und umgesetzt.
Ein Großteil der hier benötigten
Flächen gehört übrigens einem ehemaligen Gemeindevertreter.
Dies sind also die (durch das Bauministerium)
so gepriesenen Gestaltungs-möglichkeiten der Gemeinden und
der Bürger in der Praxis.
Unabhängigkeit ist vor allem
ein Ausdruck der finanziellen Ausstattung. Wie es darum in den meisten
Gemeinden bestellt ist, kann sich jeder vorstellen.
Praxis ist auch, dass die Anwohner
im Dorf Hohen Pritz bei Mestlin seit Monaten auf die versprochenen
Lärmuntersuchungen warten. Immerhin waren zwischenzeitlich
Mitarbeiter der Schweriner Umweltbehörde vor Ort, wo Ihnen
vom Investor stolz erklärt wurde, wie dieser eimerweise granulierten
Abrieb aus dem Inneren der Windmühlenflügel gesammelt
hat.
Das Zeug rutscht dort so hin und her
und verursacht die betonmischerartigen Geräusche. Sagen die
Anwohner, steht so auch woanders im Internet beschrieben, und es
gab sogar Beschwerden darüber.
Nur die zuständigen Behörden
in Schwerin oder Güstrow wissen dies offenbar nicht. Ist ja
auch eine ziemliche Entfernung bis dort, da geht schon mal was unter.
Und außerdem, betonmischerartiger
Lärm bei Windkraftanlagen ist in keiner Vorschrift als nicht
zulässig verzeichnet.
Was ist jedoch mit Klimaschutz, dies
kommt hier gar nicht vor ?
Nun, worum es geht, wird oben deutlich.
Geht es um Klimaschutz ? Nicht wirklich.
Die gesetzlich angemahnte optimale
Nutzung der Windkraftgebiete bedeutet in der Praxis nichts anderes
als deren Maximierung. Je mehr und größer Windräder
aufgestellt werden können, um so besser die Rendite der kaum
einheimischen Investoren. Größere Abstände zu Wohnhäusern
behindern dies nur.
Drehen wir die Betrachtungsweise jetzt
einmal in den Blickwinkel der hiesigen Menschen und der Landschaft
dann bedeutet es doch nichts anderes als:
Maximal mögliche Absenkung der Schutzinteressen der Bevölkerung
und des Natur-schutzes, also die maximal mögliche Verstellung
der Mecklenburger Landschaft mit Windrädern, die maximal mögliche
Zumutbarkeit von Lärm und Schattenschlag, die maximal mögliche
Niederschlagung naturschutzrelevanter Einwände und nicht zuletzt
ein maximaler Wertverlust von Haus und Hof nicht nur der unmittelbaren
Anwohner.
Das ist die Realität.
Mit dieser neuen Richtlinie war eine
Öffentlichkeitsbeteiligung ausgeschrieben, zu der unlängst
eine Beratung mit Vertretern der beteiligten Ministerien, der Windkraftlobby,
von Gemeinden und von Bürgerinitiativen stattfand.
Wozu ist einigen Teilnehmern nicht klar geworden, keine Tagesordnung,
keine Zielstellung und von einer Auswertung oder gar Einarbeitung
der über 30 teils ganz konkreten Eingaben und Vorschläge
war auch nicht die Rede. Aber jeder konnte seine Meinung sagen.
Eben Demokratie pur.
Das Kriterium der Wahrheit ist die
Praxis - der Spruch soll von Lenin sein.
Egal, richtig ist er allemal.
Norbert Hein, Peter Enterlein

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